Ein Beitrag von Ron van der Aa und Kaat van der Haar
Einleitung
Seit 2012 kennt man in den Niederlanden die Safety Culture Ladder (SCL). Ursprünglich war sie ein Produkt von ProRail, wurde aber 2016 an das niederländische Normierungsinstitut (NEN) übertragen.
Seitdem hat die SCL sich zu einem Produkt entwickelt, das in immer mehr Bereichen eingesetzt wird und inzwischen auch international immer mehr Bekanntheit und Anwendung findet.
Aber wie bei jedem Produkt des NEN muss man an einem gewissen Punkt darüber nachdenken, ob eine Überarbeitung aufgrund bestimmter Entwicklungen auf dem Markt sinnvoll oder notwendig erscheint. Dieser Prozess hat in den vergangenen Jahren stattgefunden und zur Entwicklung der SCL 2.0 geführt.
Anlass
In den letzten Jahren wurde der Anwendungsbereich der SCL erheblich erweitert. Während sie in den ersten Jahren hauptsächlich in der Bahnbranche angewendet wurde, lässt sich 2016 eine Ausbreitung auf viele andere Bereiche beobachten. Einige Beispiele sind die Baubranche, Netzbetreiber und verschiedene Dienstleistungssektoren.
Mit dieser Erweiterung des Anwendungsbereichs der SCL kam es auch immer häufiger zu Anmerkungen zur SCL, sowohl in Bezug auf das Handbuch als auf das Zertifizierungsschema.
Einige Beispiele dafür:
- Die SCL enthält zu viele „bahnbezogene Begriffe“, was die Anwendung in anderen Bereichen behindert
- Die SCL enthält zu viele systembezogene Beschreibungen, die an sich nicht zum Messen der Sicherheitskultur passen
- In der SCL werden die Mitarbeiter:innen und ihre Rolle nicht genügend berücksichtigt, obwohl sie beim Sicherheitsbewusstsein eines Unternehmens eine große Rolle spielen
- In der SCL liegt der Fokus zu stark auf dem Arbeitsschutz, während die Sicherheitskultur viel mehr umfasst
- Das heutige System aus Bewertungen einzelner Unternehmensaspekte/-charakteristika hat unerwünschte Effekte (auch als Kalkül beschrieben)
Diese Anmerkungen bildeten den Anlass zu einer kompletten Überarbeitung der SCL, die in einer neuen Version der SCL mit dem Namen SCL 2.0 resultierte.
SCL 2.0
Neben den oben beschriebenen Anstößen zur Überarbeitung der SCL gibt es auch Punkte, die klar gehandhabt werden sollten, zum Beispiel die Erkennbarkeit der SCL und die Möglichkeit zur Anwendung in allen Bereichen.
In den vergangenen Jahren wurde die SCL 2.0 entwickelt. Sie kennzeichnet sich durch die folgenden Unterschiede zur jetzigen SCL:
- Die sechs Unternehmensaspekte wurden durch fünf Themen ersetzt
- Die Bewertung mit Punkten wurde durch eine Beurteilung ersetzt, die nicht mehr auf bloßen Zahlen basiert, sondern auf den Beobachtungen des Auditors in Bezug auf Einstellung, Verhalten und Kultur
Zu 1):
Bei der SCL 2.0 wurden die jetzigen sechs Unternehmensaspekte durch die folgenden fünf Themen ersetzt:
Thema 1 Strategie und Führung
Thema 2 Kenntnisse und Fertigkeiten
Thema 3 Primär- und Sekundärprozesse
Thema 4 Kooperation
Thema 5 Lernen und Verbesserung
Dabei ist jedes Thema in zwei Aspekte, „Organisation“ und „Verhalten“, unterteilt und gibt es jeweils einige zum Hauptthema passende Unternehmen.
Was deutlich anders ist, ist die Beschreibung der Themen. Bei der SCL 2.0 werden sie nach der sogenannten Storytelling-Methode erzählend beschrieben. Bei diesem Storytelling wird beschrieben, was in einem Unternehmen in Bezug auf das betreffende (Unter-)Thema und die betreffende Stufe erkennbar sein sollte bzw. sich feststellen lassen müsste.
Zu 2):
Bei der SCL 2.0 werden für die Beurteilung keine Punkte mehr vergeben.
Bei der Beurteilung wird mit drei Farben gearbeitet und kann ein Unternehmen als grün, rot oder orange bewertet werden. Zudem werden die Aspekte „Organisation“ (O) und „Verhalten“ (V) separat beurteilt. Weil es bei der Beurteilung der Kultur vor allem um die Wirksamkeit der Anstrengungen und der umgesetzten Instrumente geht, wiegt die Beurteilung von V am schwersten.
Eine grüne Bewertung zeigt visuell an, dass ein Thema als ausreichend beurteilt wurde. Ein Thema wird als ausreichend (grün) bewertet, wenn die Auditoren den Eindruck haben, dass die Merkmale des betreffenden Themas zum großen Teil erfüllt sind.
Eine rote Bewertung zeigt visuell an, dass ein Thema als unzureichend beurteilt wurde.
Schließlich zeigt eine orange Bewertung visuell an, dass das Unternehmen den zu einem Thema gehörigen Merkmalen teilweise entspricht undes Anstrengungen unternimmt, diese ganz zu erfüllen.
Anforderungen für die Beurteilung:
Bei der Beurteilung von O müssen mindestens vier der fünf Themen als ausreichend (grün) bewertet sein. Das Thema, das nicht als grün bewertet wurde, muss zum Erhalt einer positiven Beurteilung als orange bewertet sein. Eine rote Bewertung bedeutet, dass die Stufe nicht erreicht wurde.
Bei der Beurteilung von V müssen alle Themen als ausreichend (grün) bewertet sein.
Berichterstattung
Weil bei der neuen Beurteilungsweise keine Punkte mehr vergeben werden, kann es vorkommen, dass Unternehmen den Beurteilungsergebnissen nicht so leicht Angriffspunkte entnehmen können. Um diesen möglichen ungewollten Effekt zu eliminieren und weil auch schon länger Bedarf an Anforderungen an die Berichterstattung bestand, wurden neue Kriterien für die Berichterstattung festgelegt. Diese neuen Kriterien resultieren in einer angemessene Darlegung und Begründung der Befunde.
Bei einem Audit werden die fünf Themen und die zugehörigen Unterthemen beurteilt. Anhand dieser Beurteilung stellt das Auditteam Stärken und Schwachstellen fest.
In ihrem Bericht begründen die Auditoren je Thema für die einzelnen Unterthemen, welche Stärken und Schwachstellen sie bei ihrem Audit gefunden haben. Dadurch kann das Unternehmen sich ein Bild von seiner Position auf der Stufe und damit von seinem Wachstumspotential innerhalb jedes Themas machen.
Außerdem enthält der Auditbericht eine Begründung, aus der sich ableiten lassen muss, warum ein Thema eine bestimmte Beurteilung bekommen hat. So übernimmt das Auditteam die Verantwortung für eine ordentliche Durchführung des Audits, wobei die Befunde des Teams dem Unternehmen auch direkt bei der Weiterentwicklung zu einer höheren Stufe helfen können.
Für die Berichterstattung gelten die folgenden Kriterien:
- Je Thema wird zu den einzelnen Unterthemen ein Bericht geschrieben, in dem aufgeführt wird, was gut ist und was besser sein könnte. Außerdem wird eine Beurteilung (für O und V) abgegeben: grün, orange, rot? Der Ausgangspunkt ist, dass die Auflistung je Thema kulturorientiert sein muss. O und V werden im Zusammenhang miteinander beurteilt. Bei der Beurteilung des Punktes „Organisation“ werden der Bezug zur Kultur und die Folgen für die Kultur betrachtet. Dabei ist das Gesamtbild in Bezug auf das Thema maßgebend. Hier wird auch eine Begründung für die Bewertung gegeben.
- Wenn dem Auditor etwas Besonderes aufgefallen ist, muss er es nennen und dabei angeben, was es ihm zufolge für die Kultur bedeutet. Trifft er dabei auf Aspekte, die im direkten Zusammenhang mit einem der unter „Organisation“ beschriebenen Elemente stehen, müssen diese ebenfalls genannt werden.
- Im Bericht müssen die Befunde beschrieben werden: Wie sieht das Bild aus? Es geht hier nicht um eine Empfehlung, sondern nur um eine Darstellung der Befunde.
- Der Bericht darf nicht auf eine Person zurückgeführt werden können. Persönliches darf im Bericht nicht vorkommen.
Validierung
Im Moment testen wir sowohl in den Niederlanden als in Deutschland, ob die neue Version der SCL (SCL 2.0) deutlich ist und ob Unternehmen und Auditoren in der Praxis gut damit arbeiten können. Diesen Prozess nennen wir die Validierung der SCL 2.0.
An dieser Validierung sind alle Zertifizierungsstellen in Deutschland und den Niederlanden beteiligt. Jede davon verwendet dabei jeweils ein Audit für diesen Validierungsprozess. Aber auch die Meinung/Ansicht des restlichen Marktes ist wichtig. Darum wird zusätzlich zur Validierung in den Monaten September und Oktober 2022 auch eine öffentliche Kommentarrunde organisiert.
Aufgrund der Ergebnisse der Validierung und der Kommentare aus der öffentlichen Kommentarrunde wird die SCL 2.0 angepasst und letztendlich Mitte 2023 (Planung) veröffentlicht.
Das Expertenteam SCL 2.0
Die Überarbeitung der SCL, resultierend in der SCL 2.0, war ein Prozess, der Ausdauer erforderte. Die Beschreibung der SCL als auch die Beurteilungsmethode neu zu gestalten, ist schon ein ziemliches Unterfangen.
Ohne den Beitrag und Einsatz einer Reihe von Experten wäre es denn auch nicht gelungen. Darum verdienen sie es, an dieser Stelle ausdrücklich genannt zu werden.
Vielen Dank, Marina van Beekveld, Arno de Graaff, Frank Thoonen, Gerd-Jan Frijters, Hans Aarns, Robert Taen und Taco Buissant des Amorie!